HIMMEL UND HÖLLE

 

GLORIA SOGL / ALICJA PAKOSZ / MARIA TRUNK / MICHAŁ ZAWADA

13. OKTOBER, 17 UHR

Vernissage

in der MODULGALERIE

Kuratorinnen:
Paulina Olszewska und Kasia Prusik-Lutz

Modulgalerie, Kaiserstrasse, U-Bahn Passage Lorenzkirche, Nürnberg 90402 

Ausstellungsdauer: 13.10.2023 – 18.2.2024

ART WEEKEND NÜRNBERG

Führung mit Barbara Engelhard:
Sonntag, den 15.10.2023 um 11 Uhr

Treffpunkt: Heimatministerium, Bankstrasse 9, Nbg 90403,
NÄCHSTE STATION: Modulgalerie, U-Bahn Passage Lorenzkirche, Kaiserstrasse 15, Nbg 90402

Foto: Anna Ritter

Alicja Pakosz, Gloria Sogl, Maria Trunk, Michał Zawada

HIMMEL UND HÖLLE

Der Ausgangspunkt der kommenden Ausstellung in der Modulgalerie ist das Buch „Rayuela” (dt. „Himmel und Hölle“)“ des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar aus dem Jahr 1963, das in Paris und Buenos Aires spielt und dessen Protagonist Horacio Oliveira ist. Das Besondere an dem Buch ist, das man es auf verschiedene Arten lesen kann.

Die erste Lesart ist die Klassische: Man liest das Buch von Anfang bis Ende. In diesem Fall entwickelt sich die Erzählung, in dem man den Hauptcharakter und die Wendungen in einer logischen Reihenfolge kennenlernt.

Die zweite Lesart ist eine, in der man einem Code folgt, den der Autor schuf. Beim Lesen bewegt man sich zwischen verschiedenen, nicht unbedingt auf einander folgenden Kapiteln. 

In diesem Fall wird die Erzählung des Romans um zusätzliche Elemente erweitert. Sie konzentriert sich nicht mehr nur auf einen Protagonisten, sondern wird auch zu einer Sammlung von Eindrücken, Einwürfen, Monologen, Fragmenten anderer Werke oder Texten, die in einer nicht ganz verständlichen Sprache verfasst sind. Obwohl die Essenz immer noch dieselbe Geschichte und derselbe Protagonist sind, gewinnt sie zusätzliche Verzweigungen und Pfade, die den Leser in neue Bereiche, das Verständnis des Textes und seine Interpretation führen. Dadurch wird das Buch zu einem Spiel, das an das titelgebende Kinderspiel erinnert, das trotz eines Schemas und festgelegter Regeln flexibel genug ist, um eigene Spielweisen zu entwickeln.

Die Ausstellung in der Modulgalerie folgt ähnlichen Prinzipien. Zwei mit Nürnberg verbundene Künstlerinnen, Gloria Sogl und Maria Trunk, sowie die Künstlerin Alicja Pakosz und der Künstler Michał Zawada, beide aus Krakau, wurden eingeladen, daran teilzunehmen. Jede:r von ihnen beschäftigt sich mit einem anderen Bereich der Kunst, arbeitet in verschiedenen Medien und behandelt den inviduellen Werken verschiedene, manchmal unterschiedliche Themen. In diesem Fall werden die Künstlerinnen und der Künstler, ähnlich wie bei Cortázar, gemeinsam etwas in Form eines Buches-Spiels erschaffen, das auf vielfältige Weisen genutzt werden kann. Die Arbeiten werden in Dialog miteinander treten: sei es durch direkte oder entfernte Bezüge, sei es durch visuelle Ähnlichkeiten, aber auch durch Extreme und Widersprüche. Ähnlich wie im Buch wird es plötzliche und unvorhergesehene Abschweifungen geben, die die Lesenden aus der Erzählung reißen, um sie in völlig andere Bereiche der Vorstellungskraft zu versetzen.

Alicja Pakosz (geb. 1996) nutzt in ihrer Kunst Landschaften oder Szenen des täglichen Lebens und verleiht ihnen einen stark surrealen Charakter, der Unruhe und Spannung erzeugt. Nach längerem Betrachten entdecken wir eine verborgene Bedeutung, denn in inszenierten Kompositionen zeigt sich eine weitere Darstellung. Die Künstlerin nutzt das Phänomen der Pareidolie, einer Sinnestäuschung, bei der bekannte Formen in zufälligen Details erkannt werden, begleitet von einem Gefühl ihrer unwirklichen Natur. Im Rahmen des Projekts in Nürnberg werden auch zwei Dioramen versteckt sein. Diese Technik, besonders im 19. Jahrhundert beliebt, diente dazu, Illusionen von Raum in malerischen Darstellungen zu erzeugen, um die Grenze zwischen Realität und Gemaltem zu verwischen. Bei Pakosz werden sie eine stark überraschende und surrealistische Form annehmen.

In der Modulgalerie wird ein Teil des Projekts „Not Quite Themselves“ von Gloria Sogl (geb. 1994) gezeigt. Ihre Inspiration war ein Aufenthalt als Künstlerin im Sommer 2021 im Marmorsteinbruch in der Nähe von Salzburg, Österreich. Da der Steinbruch immer noch in Betrieb ist, beobachtete die Künstlerin die Methoden zur Gewinnung von Marmorblöcken und besichtigte ihn nach Feierabend, wobei sie besonders auf die Rückstände nach der Gewinnung achtete: den überall abgelagerten Marmorstaub oder die Bruchstücke, die aus wirtschaftlicher Sicht keinen Wert hatten. Einerseits war die Künstlerin von Tausende Jahren Erdgeschichte fasziniert, die im Stein eingeschlossen ist, andererseits beschäftigte sie sich mit der Frage nach dem brutalen Marktwert des Steins. Dieser wird durch starre Parameter der Struktur, Farbe und Unversehrtheit des Marmors bestimmt. Sogl übertrug ihre Erkenntnisse auf ephemere Aktionen im Steinbruch selbst und nach ihrer Rückkehr nach Nürnberg in Videoanimationen und Objekte aus Marmorstaub, der mit Zucker vermischt ist.

Maria Trunk (geb. 1984) ist eine Künstlerin, die sich mit Wort und Buchstabe beschäftigt und sowohl deren Bedeutung als auch ihre visuelle Form in den Fokus stellt. Sie dienen Trunk als Material zur Schaffung von Gedichten und visuellen Kompositionen, die in der Tradition der experimentellen Kunst der 60er und 70er Jahre verwurzelt sind. Bei Trunk tragen ihre geschaffenen Gedichte und visuellen Kompositionen sowohl lyrische als auch dadaistische Elemente in sich. Der Kontakt mit der Natur und der direkte Dialog sind für die Künstlerin ein wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit. Daher wird sie sich in ihren verbal-visuellen-klanglichen Arbeiten, die im Rahmen des Projekts in der Modulgalerie vorbereitet wurden, direkt auf den Ausstellungstitel beziehen: „Himmel und Hölle“, verstanden als Verweis auf zwei Antagonismen: Himmel und Erde. Es ist auch eine Rückkehr zur Natur – dem, was unter unseren Füßen liegt, und dem, was über unseren Köpfen ist.

Das Feuer, das unter der Erdoberfläche existiert, und das in unserer Galaxie erscheint, sind Themen in der Kunst von Michał Zawada (geb. 1985). Das Wesen des Feuers ist sehr urtümlich und bleibt trotz technologischer Fortschritte ungezähmt und außerhalb unserer Kontrolle. Es bleibt weiterhin Gegenstand von Faszination und Angst, die uns seit den Anfängen unserer menschlichen Existenz begleiten. Lava, die aus dem Inneren der Erde spritzt, oder ein überraschend am Himmel erscheinender Komet in Form einer gleißenden Spur: diese Motive werden in den Fächern der Modulgalerie erscheinen. Der Künstler bedeckte sie mit gefundenen Steinen von oft sehr unregelmäßigen Formen und abstrahierte sie, indem er sie aus ihrem ursprünglichen Kontext nahm und verarbeitete. Ihre Formen werden sich im Spiegelhintergrund spiegeln und verzerren und so den Eindruck unserer Wahrnehmung der Natur erzeugen. Was ist Natur eigentlich für uns? Wie nehmen wir sie wahr, aber auch wie erschaffen wir sie und welches Bild erzeugen wir von ihr? Diese Fragen tauchen in den malerischen Überlegungen von Zawada auf, und in einigen der Fächer werden sie in Form kleiner Gemälde versteckt sein.

Die Ausstellung „Himmel und Hölle“ kann auf verschiedene Arten erlebt werden. Eine Möglichkeit besteht darin, die einzelnen Arbeiten eines ausgewählten Künstlers oder einer ausgewählten Künstlerin in den einzelnen Boxen zu betrachten. Eine andere basiert auf dem Befolgen des kuratorischen Codes und dem Öffnen ausgewählter Fächer. Diese Version wird die Arbeiten aller vier Künstler miteinander verbinden und konkrete Verbindungen zwischen den einzelnen Werken herstellen.

Die letzte Möglichkeit ist die Art und Weise, wie die Modulgalerie funktioniert, nämlich das zufällige Öffnen der verschiedenen Schließfächer, um sich von ihrem unbekannten Inhalt überraschen zu lassen. Die Ausstellung kann auf eine der oben genannten Arten betrachtet werden. Besucher:innen können auch jede von ihnen ausprobieren. In dieser Ausstellung, ähnlich wie in einem Kinderspiel und in einem Buch, ist jede Herangehensweise richtig.

Text: Paulina Olszewska

Übersetzung: Katharina Uziel

Foto: Kasia Prusik-Lutz